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Theorie des Ionenzerfalls

Die Geschwindigkeit, mit der in der Quelle gebildete Ionen zerfallen, kann nicht mit Hilfe der normalen Gasphasenkinetik beschrieben werden. Der Begriff der Temperatur ist ja hier nicht anwendbar, da es praktisch keine Zusammenstöße zwischen den Teilchen und folglich keine Boltzmann'sche Energieverteilung gibt.

Es wurde daher eine eigene Theorie entwickelt, die den Zerfall von Ionen in der EI-Quelle (EI ... Electron Impact, Elektronenstoßionisierung) beschreibt. Diese Theorie baut auf der Eyring'schen Theorie der Reaktionsgeschwindigkeit auf und ist unter dem Namen Quasi-Gleichgewichtstheorie (quasi equilibrium theory, QET) bekannt geworden. Sie nimmt einen raschen Übergang zwischen den Schwingungszuständen an, so dass die gesamte Schwingungsenergie vor dem Zerfall des Ions statistisch über alle Schwingungsfreiheitsgrade verteilt ist. Ein Teil der Schwingungszustände werden aktivierte Zustände in Bezug auf bestimmte Zerfallsreaktionen des Ions sein. Es besteht somit ein "Quasi-Gleichgewicht" zwischen den Ionen im aktivierten Zustand und den Ionen im Ausgangszustand. Diese Annahme ermöglicht es, für den Zerfall der Ionen ein Geschwindigkeitsgesetz 1. Ordnung anzunehmen: Der Bruchteil aller Quantenzustände, die in Bezug auf den betrachteten Zerfallsvorgang aktivierte Zustände sind (und damit auch der Bruchteil der Ionen, die in der Zeiteinheit zerfallen), ist bei gegebener Energie konstant.

Die Geschwindigkeitskonstante für den Zerfall hängt von der Energie des Ions und von der Zahl der Schwingungsfreiheitsgrade ab. Das Ion wird ja umso schneller zerfallen, je größer seine Energie ist, und umso langsamer, je mehr Schwingungsfreiheitsgrade vorhanden sind, über die sich die Energie verteilt. Große Ionen werden demnach langsamer zerfallen als kleine. Die vollständige Berechnung der Zerfallskonstante nach der Quasi-Gleichgewichts-Theorie ist ziemlich umfangreich. Es gibt jedoch eine vereinfachte Formel (nach Rice, Ramsperger und Kassel, vergl. [Forst 1973]), auf die im folgenden etwas näher eingegangen wird.

Damit ein Ion zerfallen kann, muss eine bestimmte Mindestenergie in einem Schwingungsfreiheitsgrad konzentriert sein. Diese Mindestenergie ist die Aktivierungsenergie Ea für den Zerfall. Sie kann durch Auftrittspotentialmessungen experimentell ermittelt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Schwingungsfreiheitsgrad mindestens die Energiemenge Ea konzentriert ist, ergibt sich zu

E Schwingungsenergie
Ea Überschussenergie
s effektive Anzahl an Schwingungsfreiheitsgraden
W Wahrscheinlichkeit

Man kann annehmen, dass die Geschwindigkeitskonstante für den Zerfall zu dieser Wahrscheinlichkeit proportional ist:

ν Schwingungsfrequenz
k Geschwindigkeitskonstante des Zerfalls

Wird die Überschussenergie (E - Ea) sehr groß, so geht der Klammerausdruck gegen 1. Daraus ergibt sich, dass der Proportionalitätsfaktor ν die Obergrenze die Geschwindigkeitskonstante der betrachteten Zerfallsreaktion darstellt (für einen einfachen Bindungsbruch muss dieser Wert ungefähr gleich der Schwingungsfrequenz der brechenden Bindung sein). Die größtmögliche Zerfallsgeschwindigkeit wird dann erreicht sein, wenn nahezu alle Moleküle innerhalb einer Schwingungsperiode zerfallen. Man nennt ν daher den Frequenzfaktor. Für einen einfachen Bindungsbruch liegt der Frequenzfaktor in der Größenordnung von 1013 bis 1014 s-1 (entsprechend den Schwingungsfrequenzen organischer Verbindungen). Für Umlagerungsreaktionen ist er oft um mehrere Zehnerpotenzen kleiner. Hier muss ja im aktivierten Zustand eine bestimmte Konfiguration vorliegen, deren Wahrscheinlichkeit gering ist. ν beschreibt somit die entropische Komponente der Zerfallsgeschwindigkeit.


[Forst 1973]

W. Forst, Theory of Unimolecular Reactions, Academic Press, New York (1973).


Last Update: 2010-12-14